6. November 2018

Hotzenplotz immersiv

„Kasperltheater zwischen zwei Buchdeckeln“: Szenografische Übersetzung von Otfried Preußlers Beschreibung seiner Räubergeschichte.© Foto: Bernotat & Co

„Kasperltheater zwischen zwei Buchdeckeln“: Szenografische Übersetzung von Otfried Preußlers Beschreibung seiner Räubergeschichte.© Foto: Bernotat & Co

Ausgerechnet eine Ausstellung für Kinder hat meine germanistischen Adern vor wenigen Wochen wieder zum Pulsieren gebracht. Otfried Preußler-Fans können im Stuttgarter Kindermuseum „Junges Schloss“ bis zum 30. Juni 2019 in die Welt des Anti-Helden Räuber Hotzenplotz eintauchen. Das deutsch-niederländische Design-Team Bernotat & Co hat in die nicht gerade szenografiefreundlichen, weil ziemlich verschachtelten Räumlichkeiten des Kindermuseums eine wunderbar immersive Mitmach-Ausstellung eingebettet – ohne dabei tief in die Hightech-Kiste zu greifen.

Was also braucht es, um eine Ausstellung in einem Kindermuseum zu gestalten? Das habe ich Jan Jacob Borstlab, Partner bei Bernotat & Co gefragt:
 

Wie unterscheidet sich das Gestalten von Ausstellungen für Kinder oder für Erwachsene?


„Es gibt natürlich Unterschiede in der Komplexität der Inhalte. Und für Kinder gilt einmal mehr, ihnen die Möglichkeit zu geben mitzumachen. Aber grundsätzlich finden wir diese Unterschiede eher gering.
Bei all unseren Gestaltungsarbeiten versuchen wir – nicht nur bei Ausstellungen – eine Bezauberung zu erzeugen, die man hat, wenn man etwas Besonderes zum ersten Mal erfährt. Kinderausstellungen sollen auch für Erwachsene interessant sein, die sind doch dabei und sollen sich genau so wenig wie die Kinder langweilen. Umgekehrt gilt: Bei Erwachsenenausstellungen versuchen wir auch das Kind im Erwachsenen anzusprechen.“
 

Was sind die Grundzutaten für eine gute Ausstellung für Kinder?


„Ein bisschen Überforderung:
Wir glauben, dass Kinder ernst genommen werden wollen, sie wollen ja die Welt entdecken! Man darf Kinder also leicht überfordern und zum Beispiel auch mal ohne Erklärung Dinge zeigen, die sie noch nicht kennen: beispielsweise die alten Telefone mit Drehscheibe oder das alte Grammofon. Gerade das macht die Ausstellung spannend und mysteriös. Genau solche Details werden erinnert.

Eine andere Welt zeigen:
Eine Kinderausstellung ist immer auch eine Entdeckung der Erwachsenenwelt. Kinder wollen die Ausstellung mit den Erwachsenen gemeinsam entdecken, also muss eine Kinderausstellung nicht unbedingt aussehen, als sei sie nur für Kinder gemacht. So haben wir auch schon eine andere Ausstellung für das Landesmuseum gestaltet: „Die geheimnisvolle Wunderkammer“. Die sah aus wie der Dachboden eines verrückten Onkels, dessen Zutritt für Kinder verboten ist. Verbote sind für Kinder und Erwachsene natürlich sehr reizvoll! Bei der Hotzenplotz-Ausstellung, die doch eher eine Kinderwelt ist, äußert sich das in den Schildern, die auffordern genau das zu machen, was verboten ist: „Allerstrengstens verboten für Kinder – Langeweilegefahr!”

Verstecktes entdecken:
Sachen verstecken auf mehreren Ebenen, mit verschiedene Medien, das macht Spaß, das hat auch wieder mit dem Entdecken der Welt zu tun! Bei Hotzenplotz sind das die Tiere im Wald, die auf die Kulissen gemalt sind wie in einem Suchbild – und viele andere Details, die wir hier natürlich nicht preisgeben...“
 

Was war das Besondere bei Eurer Arbeit an der „Hotzenplotz“-Ausstellung?


„Wir hatten uns vorgenommen, zuerst das Buch als Quelle zu nehmen und so wenig wie möglich neu zu erfinden. Wir haben also nur selber etwas ergänzt, wenn es absolut nicht mit einem Bild oder Zitat aus dem Buch zu lösen war. Daran mussten wir uns erst noch gewöhnen und haben uns anfangs schwer damit getan. Man ist leicht dazu geneigt die eigene Kreativität spontan fließen zu lassen. Langsam entwickelte sich das aber zum Spaß und brachte eine Tiefe, die die Ausstellung verbessert hat. Und: unsere Ideen und Interpretationen haben wiederum das Team vom Landesmuseum für ihre Tätigkeiten an der Ausstellung inspiriert.
Das Gestaltungskonzept kommt zum Beispiel direkt aus dem Buch: Otfried Preußler nannte es „ein Kasperltheater zwischen zwei Buchdeckeln“. Wir haben das in Theaterkulissen übersetzt: eine grafisch, zweidimensional anmutende Welt. Das Farbkonzept erscheint zumindest auf den ersten Blick noch am radikalsten: Die Original-Illustrationen von F.J. Tripp wurden ja erst nachträglich und nicht von ihm selbst koloriert, und das vornehmlich in Brauntönen. Mit dem Farbkonzept haben wir uns dann doch ein Stück weit von den Originalen entfernt: jeder einzelnen Szene wie Wald, Großmutters Haus, Räuberhöhle oder Zauberschloss haben wir mit den sich voneinander abgrenzenden Farben eine ganz eigene Atmosphäre gegeben. Unser Farbkonzept erscheint dennoch vertraut, weil es stark von der Farbgebung der originalen Buchumschlägen von F.J. Tripp inspiriert ist.“
 

Wenn Du heute selbst noch mal Kind wärest und einen Ausstellungswunsch frei hättest: Welche Ausstellung würdest Du Dir wünschen?


„Als Kind war ich fasziniert von Entdeckungen verloren gegangener Welten. Das war einer der Gründe, weshalb ich später Gestalter geworden bin: Als Gestalter kann man sich solche Welten selber schaffen. Diese Faszination ist noch immer da! Während ich Dir diese Frage beantworte, rede ich vielleicht mehr als Erwachsener von heute, der eine Ausstellung gestaltet für das Kind, das ich früher war.

Also, ja! Ich kann mir vorstellen, eine Ausstellung über die sieben Weltwunder, die für einen großen Teil verloren gegangen sind, zu machen. Um mal zu erfahren, wie die hängenden Gärten von Babylon ausgesehen haben! Oder vielleicht eine Weltreise aus Sicht eines Menschen aus dem Mittelalter: Eine flache Erde entdecken, mit Seemonstern und Meerjungfrauen, Menschen mit Hundeköpfen, oder dem Vogel Roch, der so groß war, dass er sich von Elefanten ernährt hat. Das wurde sogar im Buch von Marco Polo schon beschrieben!“

Herzlichen Dank für diesen kleinen Einblick in Eure Arbeit, lieber Jan Jacob! Du, liebe*r Lese*rin willst jetzt sicherlich mehr über Bernotat & Co wissen, richtig? Verständlich! Bitte sehr: www.bernotat.eu
Die Website des Kindermuseums „Junges Schloss“ findest Du hier: www.junges-schloss.de

Was die Arbeit des Kurators der Hotzenplotz-Ausstellung ausmacht, kannst Du hier im Interview mit Christoph Fricker nachlesen.

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