23. November 2016

Biogemüse auf Knopfdruck

Hassaan Hakim ist Gründer und Inhaber von YOOL, einer "Werbeagentur für Nachhaltigkeit". © Foto: YOOL

Hassaan Hakim ist Gründer und Inhaber von YOOL, einer "Werbeagentur für Nachhaltigkeit". © Foto: YOOL

CSR und Kommunikation im Raum – wie geht das zusammen? Hassaan Hakim ist Inhaber der Kommunikationsagentur YOOL. Er hat beim Nachhaltigkeitsfestival Sustainica zwei Vorträge zum Thema CSR-Kommunikation  gehalten – und mich einmal mehr bestärkt, dass das die Kommunikation der Zukunft ist. Nach der Messe habe ich Hassaan  gefragt, wie Werbung, Kommunikation und Nachhaltigkeit zusammengehen. Voilà!

Hallo Hassaan, wer bist Du – und was ist eigentlich YOOL?

Ich bin Gestalter, Vermittler, Familienvater, Wahl-Gießener.  YOOL ist der Name der von mir gegründeten Kommunikationsagentur.

YOOL titelt als Werbeagentur für Nachhaltigkeit. Was heißt das?

Werbeagentur für Nachhaltigkeit klingt sehr plakativ und das soll auch so sein. Als ich 2005 neben meiner Arbeit an der Uni angefangen habe mich selbstständig zu machen, war Nachhaltigkeit in der Kommunikationsbranche noch ein Nischenthema. Die Bezeichnung empfand ich damals als nützlich, um meine Ausrichtung unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Aber genau genommen trifft sie nicht unseren Kern. YOOL ist eine Full Service-Agentur mit Leistungen in den Bereichen Strategie, Design, Digital und Dialog. Der inhaltliche Fokus liegt im NGO Campaigning und Bio-Marketing. Nachhaltigkeitsmarketing ist unsere dritte Spezialisierung. Hier beschränken wir uns nicht nur auf die Nachhaltigkeitskommunikation, sondern entwickeln Strategien, beraten und schulen.

Wie bist Du auf die Idee gekommen YOOL zu gründen?

In den 90ern habe ich in diversen Agenturen als Freelancer gearbeitet und war immer wieder hin- und hergerissen: einerseits von den Möglichkeiten der Werbung sinnvolle Idee und Produkte publik zu machen und anderseits von der negativen Kraft der Werbemanipulation. Während eines Jobs hatte ich dann ein Schlüsselerlebnis: Damals habe ich an einer weltweiten B2B-Kampagne für einen chemischen Geschmacksstoff mitgearbeitet. Irgendwann in dem Prozess wurde mir klar, dass dieses Produkt aufgrund meiner Kreationen eventuell „in aller Munde“ sein würde.

 

„Mir wurde bewusst, welche Verantwortung ich als kleiner, anonymer Gestalter hatte.“

 

Meine Nachfragen beim Hersteller bezüglich der Inhaltsstoffe und Nebenwirkungen blieben unbeantwortet und mir wurde bewusst, welche Verantwortung ich als kleiner, anonymer Gestalter hatte. Daraufhin entschloss ich mich, der Werbebranche den Rücken zu kehren um zu studieren. Nach meinem Studium blieb ich an der Uni und arbeitete als Dozent. In dieser Zeit holte mich meine Werbevergangenheit wieder ein. Über meine Schwester, die zu dieser Zeit bei einer Fair Handels-Organisation arbeitete, erhielt ich die Anfrage, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Tatsächlich gewann ich den Pitch und hatte nun einen Auftrag für den Fairen Handel, den ich bedienen musste. Ich entschied mich, Werbung nur noch als „Mittel zum guten Zweck“ einzusetzen und gründete YOOL als Agentur mit ethischem Reinheitsgebot.

Wie passt Nachhaltigkeit und Werbung zusammen?

Hassaan: Wir leben in einer Zeit, in der Einstellung und Verhalten bezüglich der Umwelt und dem sozialen Umfeld sich wandeln müssen, sodass wir als Menschen langfristig miteinander diesen Planeten weiter bewohnen können. Das klingt nach Panikmache und Weltuntergangsszenario   ̶ ist es aber nicht   ̶  denn für mich ist nachhaltige Entwicklung eine Chance, die uns ökologisch, ökonomisch und als Gesellschaft voranbringt.

 

„Werbung für Nachhaltigkeit ist Kommunikation im Dienste des sozial-ökologischen Wandels.“

 

Nachhaltige Technologien und Produkte sind in der Regel wirtschaftlicher und gesünder. Die größte kommunikative Herausforderung besteht momentan darin, Menschen von der Notwendigkeit und dem Profit einer Systemveränderung zu überzeugen, sowohl durch Argumente aber auch durch Produktalternativen. Werbung für Nachhaltigkeit ist Kommunikation im Dienste des sozial-ökologischen Wandels und Wachstums.

Wer sind heute die Kunden von YOOL?

Non Profit-Organisationen und politische Organisationen, für die wir Campaigning oder auch Kommunikation machen. Unternehmen aus dem Bio und Fair Handels-Sektor, konventionelle, werteorientierte Unternehmen aus verschiedenen Branchen. 

Gibt es Anfragen, die YOOL aus ethischen Gründen nicht annimmt? Welche?

In den Anfängen von YOOL gab es für mich klare Feindbilder und ich war bezüglich der Kategorisierung von Unternehmen sehr radikal. Hier die Guten, da die Bösen. Nach über zehn Jahren Agenturarbeit bin ich inzwischen auf dem Boden der sozial-ökologischen Illusion angekommen. Nicht jede NGO, die sich für mehr Fairness und Umweltschutz einsetzt, ist per se ökosozial und nicht jedes Chemieunternehmen ist eine Umweltsau. In manchen Non Profit-Organisationen haben Mitarbeiter den Status von Billig-Tagelöhnern, die sich von Projekt zu Projekt hangeln und dabei ihr eigenes Mini-Gehalt von Jahr zu Jahr selbst beim öffentlichen Geldgeber beantragen müssen. Für mich ist das paradox und eine der größten Non Profit-Lügen überhaupt.

 

„Es gibt nicht DIE Bösen und DIE Guten.“

 

Auf der anderen Seite habe ich ‚konventionelle‘ Großkonzerne kennengelernt, die ökologisch soziale Kultur leben, ohne es an die große Glocke zu hängen und ihre Mitarbeiter fair behandeln. Gelernt habe ich dabei, dass es nicht DIE Bösen und DIE Guten gibt. In den meisten Fällen hat ein kleiner, stiller, nachhaltiger Schritt eines Big Players einen größeren ökologischen Impact als das großspurige Selbstverständnis eines supersozialen Berliner Mini-Startups. Versteh mich nicht falsch, wir brauchen die kleinen bekennenden Sozialunternehmen, die von Anfang an alles richtig machen. Aber ebenso brauchen wir für den Wandel die aktuellen Big Player an Bord, die verständlicherweise nicht von einem Tag auf den anderen ihre Produktion und Struktur umstellen können. Viele große Unternehmen befinden sich auf einem guten Weg.
Aber nochmals zu deiner Frage. Ja, wir haben in der Vergangenheit auch schon Aufträge von Unternehmen und Marken abgelehnt. Ich werde an dieser Stelle keine Namen nennen. Es gibt Konzerne ohne Skrupel und Gewissen, die wir nicht bedienen werden. Dazu gehören diverse Lebensmittel- und Chemieunternehmen, einige Banken und Energieversorger und viele kleine und mittelgroße Haie.

Mit Deinem Vortrag „Trust Design“ bei der Nachhaltigkeitsmesse Sustainica hast Du den Biowandler vorgestellt. Was ist das?

Von außen betrachtet ist der Biowandler eine ‚Maschine‘, die konventionelles Gemüse per Knopfdruck in Bio-Gemüse umwandelt. Die Idee haben wir für unseren Kunden BIOFACH (die weltgrößte Messe für Biolebensmittel) entwickelt und in Berlin auf einem Wochenmarkt umgesetzt. Ziel war es, das Thema „Bio“ für unseren Kunden kreativ und aktionistisch im öffentlichen Raum zu bespielen. Ein starkes öko-politisches Statement hielten wir für das weltgrößte Bio-Branchentreffen für angemessen: Der Biowandler ist mehr als nur eine simple Tauschapparatur, die konventionelles Gemüse aufnimmt und Bio ausgibt. Der „Organic Changer“ steht symbolisch für die „ökologische Wende“ von konventioneller zu ökologischer Landwirtschaft. Die Aktion fand letztes Jahr im September statt und wurde von uns auch filmisch dokumentiert.

Du hast in Deinem Vortrag von der Relevanz der persönlichen Begegnung für die Kommunikation von Nachhaltigkeit gesprochen. Erzähl davon doch bitte auch meinen Lesern!

Bei Kommunikation von Nachhaltigkeit geht es oft um Lernen. Was kann persönliche Begegnung bzw. das Erleben einer Sache im Gegensatz zu abstrakter Informationsvermittlung hier mehr leisten? Bekannt ist ja, dass uns Erkenntnisse, die wir aus selbst erlebten Situationen gewonnen haben, stärker beeinflussen als Wissen, das theoretisch vermittelt wurde. Warum das so ist, liegt auf der Hand: Ein Satz mit Pommes und Ketchup bleibt weniger prägnant in Erinnerung als die reale goldbraun frittierte große Portion mittags beim Imbiss. Echte Erfahrungen schmecken unserem Gedächtnis besser als jede Theorie. Das liegt daran, dass beim Erleben in der Regel nicht nur ein Sinnesorgan, sondern das gesamte Wahrnehmungssystem beansprucht wird und unser Gedächtnis mit Informationen füttert. Wir hören, riechen, spüren, schmecken, sehen, fühlen die Realität.

 

„Menschen in eine Handlung involvieren, damit Verhaltensalternativen direkt erfahrbar werden.“

 

Wir handeln oft aus Gewohnheit und passen in der Regel unsere Überzeugungen und Wertevorstellungen dem an was wir tun. Wenn wir Menschen von einem nachhaltigen Lebensstil überzeugen wollen  sollten wir versuchen zu zeigen wie man anders handeln kann. Bestenfalls sollte man Menschen in eine Handlung involvieren, damit Verhaltensalternativen direkt erfahrbar werden. Durch die intelligente Gestaltung von Handlungsräumen und mithilfe persönlicher Begegnungen ist es möglich, direkte ‚nachhaltige‘ Erfahrungen zu machen.  Besonders starke Gedächtnisspuren hinterlassen Situationen, die als spannend und emotional erlebt werden.  Daher sind kreative Handlungsräume wichtige Kommunikationsplattformen für nachhaltige Themen.

Welche Relevanz hat die räumliche Inszenierung für YOOL? Kannst Du Beispiele nennen?

Natürlich eine große. Genau deshalb, weil Inszenierungen im Raum echte Erlebnisse möglich machen und viel stärkere sinnliche Erfahrungen kreieren als ein Plakat, Printanzeige oder eine Webseite. Daher wird Kommunikation im Raum auch für Marken immer wichtiger. Inzwischen weiß man, dass zweidimensionale Texte und Bilder nur begrenzt Markenwelten erschaffen können. Die dritte und vierte Dimension können viel mehr: Sie machen die sinnliche Erfahrung einer Marke möglich. Leider glauben viele, dass dies nur mithilfe eines opulenten multimedialen Aufgebots möglich ist.

 

„Kommunikation im öffentlichen Raum prägt sich stark ein, da die Erwartungshaltung niedrig ist.“

 

Für uns ist Kommunikation im öffentlichen Raum die interessanteste Disziplin, da wir hier Menschen mit relativ einfachen Mitteln in ihrem natürlichen Kontext abholen können. Begegnungen im öffentlichen Raum prägen sich deshalb stark ein, da die Erwartungshaltung niedrig ist und der Überraschungseffekt groß. Wenn ich auf eine Show gehe, dann erwarte ich auch eine, auf der Straße in der Stadt nicht. Als Beispiel für eine Inszenierung im öffentlichen Raum fällt mir neben dem Biowandler unsere Aktion Agraprofit ein, mit der wir durch Kontextverschiebung, Subversion und Demontage im Dienste einer ökofairen Sache eine Wochenmarktrealität verfremdet haben. Erschaffen haben wir mit einem simplen Marktstand eine skurrile Einkaufserfahrung.

Das Thema ‚ökologische Nachhaltigkeit‘ ist für die Kommunikation im Raum gerade aufgrund ihres oftmals temporären Charakters ein heißes Pflaster. Hat YOOL hier Erfahrung? Wie geht YOOL mit dem Thema um?

Natürlich kann man versuchen, schon im Vorfeld die Ideen so einfach und materialautonom wie möglich zu gestalten. Doch bei manchen Szenarien ist ein Mindestaufwand nötig, um ein Konzept schlüssig umzusetzen. Eine Frage, mit der wir im Zusammenhang mit unserer Biowandler-Aktion konfrontiert waren, klingt für viele wahrscheinlich wie ein Luxusproblem: Was machen wir nach der Aktion mit den großen Mengen Obst & Gemüse? Wir haben 800 kg Bio-Obst & -Gemüse zum Tauschen eingekauft. Etwa die Hälfte der Lebensmittel haben wir umgewandelt und dafür konventionelle eingesammelt. Blieben also 800 kg übrig. Nachdem einiges davon an Mitarbeiter, Freunde, Marktbetreiber und Passanten verschenkt worden war, blieben immer noch Unmengen Obst und Gemüse übrig.
Natürlich haben wir uns im Vorfeld über die Frage der Verteilung unserer Restposten Gedanken gemacht. Es stellte sich allerdings als nicht unproblematisch heraus, einen geeigneten Empfänger für unsere frische Ware zu finden. Vergeblich wendeten wir uns an diverse Gruppen und Vereine in Berlin und boten diesen unser Obst und Gemüse kostenlos an, unter anderem dem Food Sharing Netzwerk, die uns nicht zusichern konnten, dass alles rechtzeitig abgeholt werden könnte. Am Ende bekamen wir den Tipp, alles der Berliner Tafel zu spenden, die tatsächlich als einzige von der Logistik her in der Lage war, das gesamte Paket abzuholen. Was sich an dieser Stelle gut und sinnvoll verteilen ließ, konnten wir an anderer Stelle leider nicht nachhaltig lösen. Den Biowandler selbst mussten wir am Ende schweren Herzens entsorgen.

Temporäre Räume, die sinnliche Erlebnisse möglich machen, sind in der Regel aufwendig installiert. Was wäre Dein persönlicher Wunsch an die Branchenvertreter der Kommunikation im Raum bezüglich ökologisch nachhaltigen Designs?

Erwarten könnte man von mir hier ein Plädoyer für weniger Müll, geringeren Stromverbrauch Verpflegung aus Bio-Anbau etc. für die Shows und Inszenierungen von Marken. Keine ökologischen Spuren bzw. Fußabdrücke mehr zu hinterlassen, wäre durchaus eine realistische Perspektive für Kommunikation im Raum. Ebenso notwendig finde ich aber die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie eine Branche in Zukunft große Gefühle evozieren möchte. Im Moment geht der Trend in Richtung sinnlicher Superlative. Sowohl die kohärente Stimulation verschiedener Sinne als auch raffinierte Interaktionserfahrungen gelten als Garanten für Erlebnisräume. Mit Technologie ist es durchaus möglich, faszinierende Markenerlebnisse zu kreieren, die in den Köpfen hängen bleiben. Doch immer stärkere Reize und Budgets sind notwendig, um Menschen einmalige Erlebnisse zu bescheren.

 

„Durch den täglichen Overload wächst unsere emotionale Schwelle.“

 

Ich weiß sehr wohl, dass es heutzutage nicht leicht ist, Menschen zu begeistern. Durch den täglichen Overload wächst unsere emotionale Schwelle. Für die Kommunikation im Raum  wünsche ich mir mehr sinnvolle analoge Erfahrungen und  weniger starke digitale Sinnesreize.

Welches gelungene Beispiel der räumlichen Inszenierung, das nicht der YOOL-Kreation entspringt, hat Dich nachhaltig begeistert? Warum?

Das Mathematikum bei uns in Gießen begeistert mich und meine Familie immer wieder aufs Neue. Eine tolle Erlebniswelt, bei der mir schon so einige Lichter aufgegangen sind. Mathe ist hier einfach und analog erfahrbar. Stumpfe Gleichungen, die ich nie verstanden habe, ergeben für mich plötzlich Sinn.

Die Pi-Spirale im Mathematikum, einem Mitmach-Museum in Gießen. © Foto: Mathematikum/Rolf K. Wegst
Die Pi-Spirale im Mathematikum, einem Mitmach-Museum in Gießen. © Foto: Mathematikum/Rolf K. Wegst
zurück
weitere Artikel

Ein CSR-Mutmacher

„Unser Puls schlägt nachhaltig!“, bekennt sich die Eventagentur pulsmacher. Am Beispiel des Ludwigsburger Unternehmens möchte ich Kreativagenturen mit dem Schwerpunkt räumliche Inszenierung Mut machen – Mut für den ersten Schritt hin zu einer nachhaltig(er)en Unternehmensführung. Zwar ist das Thema in aller Munde, steht aber längst nicht auf jeder Unternehmens-, geschweige denn Agentur-Agenda.

Pina in Berlin

Du hast die Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater" in der Bonner Kunsthalle verpasst? Du bist zufällig gerade in Berlin? Bingo!